Plattenkritik: Tortoise – Touch (International Anthem)Was kommt eigentlich nach Post-Rock?

Tortoise Touch Cover

Wiedersehen kann glücklich machen. Nach neun Jahren kehren Tortoise mit einem neuen Album zurück.

Die Chicagoer Band Tortoise ist eine der wichtigsten Bands des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sie sind mehr oder weniger die Erfinder des Genre Post-Rock (wenn auch wie hier immer andere es sind, die mit Schubladen arbeiten) und für Jahre war Chicago und das Label Thrill Jockey so etwas wie der Nukleus in einer Welt, die so allmählich genug hatte von Grunge, Nu Metal und Hardcore – viele sich in elektronischere Gefilde orientierten oder einfach in der Versenkung verschwanden.

Nach dem Album „The Catastrophist“ von 2016 lag auch hier die Befürchtung nahe, dass die kongeniale Band um Dan Bitney, John Herndon, Douglas McCombs, John McEntire und Jeff Parker von der Oberfläche verschwindet. Umso glücklicher darf man sein, dass nach neun Jahren mit „Touch“ endlich wieder ein neues Album erscheint, das vor allem auch zeigt, wie sehr man Tortoise vermisst hat, weil sie einen einzigartigen Sound geschaffen haben, den niemand nachzuahmen vermochte. „Touch“ erscheint auf dem Label International Anthem, auf dem auch Gitarrist Jeff Parker bereits releaste. Der Opener „Vexations“ steigt ein mit gemutetem Rock-Riff und Spaghetti-Western-Gitarren und gibt die Richtung vor. Die Songs auf „Touch“ sind nicht so verspielt, wie man es vielleicht erwartet hätte. Es ist konkret, fast eklektisch und fokussiert, zeigt aber gleichzeitig die Spannweite, in der sich Band von Beginn an bewegt. Elektronische Techno-Sequenzen, Krautrock, Experimentelles, Cineastisches und natürlich die offenen assoziativen Koordinaten des Jazz. Gefällig ist hier indes nichts. In den perfekten Momenten wird gestört, verzerrt und auseinandergerissen, um dann wieder Sonnen aufgehen zu lassen.

Mal wieder zeigt Tortoise, wie wichtig es ist, Musik ohne Dogmen zu denken und zu spielen. Klangwelten, die sehr vertraut sind und zugleich neue Sichtachsen eröffnen. Sie steht gewissermaßen aber auch für die Fragilität und Instabilität der Gegenwart. Man weiß nicht mehr, was morgen ist, ob alles anders und alles frühere über Bord geworfen wird. Dass understates Virtuosentum und das Vermögen, die richtigen Fragen zu stellen umso wichtiger sind, zeigen diese zehn Songs. Dass Umwege heute dazu gehören, um zum Ziel zu kommen. Nächstes Jahr sind Tortoise auf Tour in Europa, alleine das dürfte eines der Highlights von 2026 werden. Dass dabei ein neues und eines ihrer besten Alben dabei ist, lässt die Vorfreude noch größer werden. Ein nostalgischer, aber zugleich hochaktueller Entwurf, der die Sorge vor KI-Indoktrinationen und undurchschaubaren Slops zumindest für eine Weile vergessen lässt.