Plattenkritik: Various Artists – Tectonic Sound (Tectonic Sound)20 Jahre für die Ewigkeit
26.7.2025 • Sounds – Text: Ji-Hun Kim
Vor 20 Jahren wurde das Label Tectonic Sound in Bristol gegründet. Seitdem hat sich das Imprint von Pinch zur Qualitätsinstanz für das Ausloten der Schnittmengen zwischen (Post-)Dubstep und Techno etabliert. Die Jubiläums-Compilation dazu ist ein kleines Spektakel.
Vor 20 Jahren wurde in Bristol das Label Tectonic Sound von Pinch aka Rob Ellis gegründet. Dubstep war damals noch eine grüne Sprosse, bevor es Jahre später zur letzten großen Explosion des Hardcore Continuum werden sollte und als Brostep eine ganz eigene, seltsame, aber zugleich massenwirksame Wendung hinnahm. Bristol spielte neben London popkulturell schon immer eine wichtige und unabhängige Rolle. Man denke an Massive Attack, Roni Size, DJ Krust, Portishead und Kunst von Banksy. Pinch veranstaltete seinerzeit die Party-Reihe Subloaded. Damit wurden Netzwerke mit Artists aus Croydon geschaffen, aber auch mit der ganzen Welt.
Die Compilation „Tectonic Sound“ umfasst 24 Tracks und ein bisschen fühlt sich das Line-up wie ein Klassentreffen an. Nicht, dass ich je so cool gewesen wäre, geschweige denn dazu gehört, aber das Lesen von Namen wie 2562, Peverelist, Appleblim, Coki und Kahn hat schöne Erinnerungen wachgerufen. Zum Beispiel als ich das erste und einzige Mal im Plastic People war und die für mich erste Funktion-One-Anlage hörte. Scubas Sub:stance-Nächte im Berghain und die De:Bug-Redaktions-Fachsimpeleien, wenn die Kollegen Herrmann und von Thülen über die neusten Platten aus England diskutierten und ich mir wie ein Kartoffelbauer auf einem Kongress für Neurochirurgie vorkam.
Pinchs Vision für sein Label ist nach vorne und in die Zukunft gerichtet. Einige Debütant:innen finden sich auf dem Sampler: Beatrice M., re:ni, Sicaria und Flora Yin Wong – sie alle stehen für eine neue Generation des Post-Step, die weiterhin spannenden Schnittstellen zwischen UK Bass, IDM und Techno. Sie zeigen alle, dass Qualität, Deepness, Intelligenz und Abriss auch heute noch möglich sind – ohne, dass thrombosige Ex-DJs unnötigerweise aufs Gestern rekurrieren müssen.
Die Jubiläums-Compilation ist – und das schaffen nur wenige – ein No-Skipper. Auch wenn es keine Übergänge gibt, ist die Playlist dynamisch wie ein exzellentes DJ-Set kompiliert. Die Tracks allesamt amtlich produziert, und trotz der Wucht wird das nie zu viel. Die Rave-Regel Nummer Eins – es muss immer Platz für Raum sein – wird hier mit geschulten deepen Headrooms und feuchten Hallräumen dekliniert. Das wirklich Wichtige aber: Die Compilation macht unfassbar viel Spaß, man reißt die Lautsprecher zuhause auf und will noch mehr. Man will die Tieffrequenz, den Schlag gegen den Körper, man will in den Club. Einfach Stunden am Stück tanzen, und die Welt für eine kurze Ewigkeit vergessen. „Tectonic Sound“ erinnert mich daran, dass das möglich ist und dass das wichtig ist.