Plattenkritik: The Declining Winter – Last April (Second Language Music)6 Songs für eine unsichere Ewigkeit

Plattenkritik The Declining Winter Last April Banner

Auf „Last April“ verarbeitet Musiker und Songwriter Richard Adams den Tod seiner Mutter. Und klebt als Gründungsmitglied der britischen Indie-Band Hood der Welt ein dringend benötigtes Pflaster auf die Schürfwunde der Verzweiflung.

Die Musik von Richard Adams bedeutet mir sehr viel. Klingt vielleicht nüchtern, birgt aber Material für zehn Romane. Die nicht nur von seinem Solowerk zehren würden, sondern auch von der Musik der Band, mit der bekannt geworden ist: Hood. Es ist ja manchmal komisch mit Musik. Warum gefällt mir dieses, jenes aber eher nicht, warum finde ich dies besser als das? Hood bin ich latent freundschaftlich verbunden – über das Projekt The Remote Viewer. Ich hatte die Ehre, ein paar ihrer Platten auf dem Label zu veröffentlichen, das ich früher mit einem Freund betrieben habe. Und beide Remote Viewer spielten bei Hood.

Die Menschen im Norden Englands sind besonders freundliche Typen, das gilt auch für das Hood-Kollektiv. Und solche besonderen Typen machen eben auch besondere Musik. Im Zentrum von Hood stand das Brüderpaar Chris und Richard Adams. Wie die beiden mit ihren Mitstreiter:innen die Tradition des Singer/Songwritertums nicht nur mit ihrer Lebensrealität, sondern auch den damals dringenden musikalischen Trends clashen ließen, begeisterte mich damals wie heute. Richard setzt diese tief-melancholische Tradition heutzutage als The Declining Winter fort. Das Stichwort „melancholisch“ ist natürlich nur meine Interpretation. Aber ich höre The Declining Winter und sehe vor dem geistigen Auge weite Felder in Yorkshire, natürlichen Verfall, Schönheit im Detail, viel die Sicht trübendes Wetter und noch mehr Sonne hinter der Nebelwand. Vielleicht bewerbe ich mich mit diesen Klischees als Testimonial-Lieferant für die Tourismus-Behörde – ich fühle das aber schon sehr hart. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Adams das Album „Really Early, Really Late“ – und mixte uns ein Filter Tape. Kann man ja nochmal hören. Und vor allem das Interview dazu lesen, das seine Herangehensweise ganz gut illustriert. Jetzt gibt es aktuell dieses Mini-Album. Was in diesem „Last April“ passierte, war nicht schön. Richards Mutter starb. Ich bin eigentlich überhaupt kein Fan davon, Persönliches dieser Art öffentlich zu kommunizieren – vor allem in Verbindung mit Platten oder Songs. Aber es ist nun wie es ist – und natürlich auch die Entscheidung der Künstler:innen.

Filter Tape 048 The Declining Winter Richard Adams Selfie

Bei The Declining Winter rauscht vieles – wenn nicht alles – immer in Zeitlupe an uns vorbei. Die unterschiedlichen Ebenen – Lyrics, Instrumente, Arrangement – verschwimmen zu etwas einzigartig Eigenem, einem rauschenden Rausch der distanzierten Vertrautheit. Adams’ haucht seinen Gesang konsequent am Mikrofon vorbei. Die Instrumente – Gitarre, Bass, manchmal Schlagzeug, oft Streicher – sind präsent, fordern aber keine Dominanz. So entsteht eine Klangwelt, die keine Hierarchien kennt. Alles lebt miteinander. Füreinander. Im Verborgenen grüble ich darüber schon seit vielen Jahren nach: Warum finde ich diese Herangehensweise so faszinierend? Warum spricht sie in ihrer Stille so laut zu mir? Und warum denke ich in letzter Zeit beim Hören von The Declining Winter immer öfter an Nick Drake?

Adams erzählt Geschichten. Musikalisch orchestrierte Geschichten, die mir ein sicherer Hafen sind, ein Rückzugsort, eine Art der musikalischen Versicherung, dass noch nicht alles verloren ist. Total naiv, aber eben auch wichtig. Die sechs Songs dieses Mini-Albums fügen diesem Kosmos neue Aspekte, Varianten und Variationen hinzu. In 33 Minuten wirft Adams einen Teppich aus, auf dem es sich einfach nur verharren lässt, der aber auch weiter will – und uns mitnimmt, wenn wir das denn wollen. Das mit dem Teppich gilt für alle Platten des Produzenten. Hier, auf „Last April“, ist dieser Teppich noch ein bisschen feiner gekämmt. Die gewebte Handwerkskunst, die unregelmäßige Struktur, dieses gewisse „Rough Around The Edges“, das Spontane und vielleicht in Teilen Nichtzuendegedachte erzeugt einen melancholischen Sog, in den ich mich mit ausgestreckten Armen und Beinen hineinstürze. Hineinstürzen möchte. Was lasse ich denn hinter mir, sollte ich nicht zurückkehren können?

Richard Adams ist der beste Songwriter der Gegenwart.

USAaaaaahhhhrrrgghhh!!Eine harte Playlist zum Wahlkater

Das erste Mal (Folge 2): Jinok Kim-EickenVon der klassischen Musik zur feinen Gastronomie