Plattenkritik: Zutzut – Animal NocturnoMit Sample-Packs zur Avantgarde Musik – kein Widerspruch

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Der Produzent und DJ Zutzut hat mit „Animal Nocturno“ ein Universum entworfen, das uns mit treibenden Dembow-Rhythmen und stampfenden Beats ins Unheimliche hinein- und wieder herausführt.

Unter seinem bürgerlichen Namen Alejandro Nuñez Ferrara ist er auch als bildender Künstler aktiv. Für das Konzeptalbum „Animal Nocturno“ mobilisiert Ferrara aus der mexikanischen Industriestadt Monterrey all seine Fähigkeiten. Vor einigen Wochen zeigte er in seinen Instagram Stories kurze Videos, in denen er eine Skulptur in Form eines monströsen Kopfes anfertigte, die auch auf dem Albumcover zu sehen ist.

Zwischen visueller Vision und Sound steckt ein größeres Konzept, weshalb ich Ferrara auf Instagram anschreibe und nach seinem Ansatz frage. „Das Album basiert auf einem Universum, das ich durch meine Malerei und meine Sounds entwickelt habe. Ich verstehe es als eine Annäherung an filmische Landschaften, die von dystopischen und oneirischen Elementen inspiriert sind, in denen der Schatten und die Nacht im Zentrum stehen“, schreibt er per Mail zurück.

So eröffnet er das Album mit dem Track „Barro“, der mit grollenden Geräuschen und zunächst vereinzelten Beats beginnt, aber an Tempo gewinnt. Die monströsen Geräusche materialisieren sich in seiner Skulptur: „Die Kreatur präsentiert jene Entitäten, die im Nachtleben die Kontrolle über dich übernehmen“, schreibt er. Zwischen den treibenden aber zugleich schweren Rhythmen schlummert das nachtaktive Tier. „Es repräsentiert im Grunde meinen Schatten, sein Spitzname ist ‚el viejo feo’ (dt.: der hässliche alte Mann) oder ‚animal nocturno’ (dt: das nachtaktive Tier)." Die Tracks sind introspektiv, arbeiten mit Soundschichten und erzeugen durch Loops einen psychologischen Sog.

Vier Keramikfiguren hat Ferrara bereits für eine Einzelausstellung im Dezember hergestellt, weitere sollen folgen, um das Universum zu erweitern. „Der Kopf ist an die prähispanischen Olmek-Köpfe angelehnt“, schreibt Ferrara. Diese sind an der Küste des Golfs von Mexiko zu finden. Auch auf popkulturelle Referenzen greift er zurück. „Das Aussehen ist an den Chef der Clown-Bande im Akira-Manga, dem berserkerhaften Anime-Göttern und die Architektur-Skizzen angelehnt, die Hans Rudolf Giger für Alejandro Jodorowskys nie veröffentlichtes Dune-Projekt erstellt hat.“

Zutzut, der gemeinsam mit dem Label N.A.A.F.I aus Mexiko-Stadt an Popularität gewann, ist bekannt für Club-Edits und den Einsatz von Filtern, Verfremdungsmethoden und Sample-Packs. Sein aktuelles Album, das mehr wie eine zusammenhängende Soundscape klingt, ist da keine Ausnahme. „Für die ursprüngliche Produktion habe ich versucht, nur Samples für die Effekte und die Atmosphäre zu verwenden, wie z.B. Straßengeräusche, nächtliche Stadtgeräusche und eine Menge mechanischer Industriegeräusche, die mich an meine Stadt erinnern“, schreibt er. Die Tracks sind verfremdet und überlagert mit Soundeffekten, die er „aus Industrie- und Fabrikgeräuschen“ sowie aus „Psi-Fi Filmen“ (psychedelischen-futuristischen Filmen) extrahiert und mit digitalen Plug-ins nachbearbeitet hat.

Die Samples schaffen eine Vertrautheit, beispielsweise durch die „Verwendung von Oldschool-Reggaeton-Sample-Packs“ in den Tracks „Mala Comprañia“ und „Animal Nocturno“. Das Klangbild bildet eine konstant melancholische Atmosphäre, die aber nicht ohne Rekontextualisierung auskommt. Im Track „DM“ sampelt er beispielsweise die kitschigen Vocals des „Dime Lo Que Pasa“, die er loopt und verzerrt, was einen hypnotischen Effekt hervorruft und wenig von der Stimmung des Originals zurücklässt. Es ist diese Mischung aus Ironie, vertrauten Umweltgeräuschen und paranormalen Klängen, die die Architektur des Animal-Universum bilden. Damit hüllt uns ZUTZUT in seine Welt ein, die diffuse Dringlichkeit in uns produziert.

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